Es gibt Ereignisse deren Bedeutung man nicht ganz erfassen kann, wenn man sie ausschließlich aus dem Blinkwinkel der Vernunft betrachtet. Manchmal bedarf es des erleuchteten Auges eines wahren Gläubigen um zu erkennen, wie tief und vollkommen eine offensichtliche Banalität das Gebäude der Wirklichkeit tatsächlich verändert. Das Erscheinen des Apple iPad ist ein solches Ereignis.
Noch ein Tablet?! Der kollektive Unglaube der weltweiten IT-Branche war eine massive Mauer, als ruchbar wurde, Apples nächstes Objekt der Anbetung würde zu der Geräteklasse gehören, die im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends, erdacht, geboren und zu Grabe getragen worden war. Selbst Microsoft war es mit all seiner Marktmacht nicht gelungen, die Gemeinde der Anwender glauben zu machen, sie bräuchte ein Tablet. Und das obwohl Bill Gates selbst die Missionierung zur neuen Lehre zu seiner Chefsache gemacht hatte.
So fiel es vielen leicht, die Erfolgschancen des iPad noch vor seinem Erscheinen, nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit klein zu rechnen und zu schreiben.
In der Zeitrechnung des Internets ist das jetzt schon ewig her, Wochen. Heute, das iPad gerade in den Regalen, hat Apple bereits mit fast allen großen Verlagen Verträge für den kommenden iBooks Store geschlossen, einem neuen Vertriebsweg für Printmedien, der sie aus ihrer Existenzkrise auf dem Weg ins 21. Jahrhundert retten soll. Die Verlage rennen in dieses Boot, wie die Tiere auf die biblische Arche. Die, welche wie Random House jetzt noch zögern, müssen fürchten, zurück gelassen und von der Entwicklung überrollt zu werden.
IT- Journalisten die das iPad ohne Ansicht bereits abgeschrieben hatten, berichten nun von ihren Erfahrungen wie von der Erweckung des Saulus zum Paulus. Die Mauer des Unglaubens ist unter lauten Posaunen gefallen und geschleift.
All das kann nur überraschen, wer über nicht mehr als ein Kurzzeitgedächtnis verfügt. Jeder andere weiß, dass es seit seinen Anfängen zu Apples Geschichte gehört, die Regeln des Spiels nicht nur zu brechen, sondern neu zu schreiben.
2001 war der Markt für digitale Musik ein Schlachtfeld verpasster Chancen und MP3-Player hatten das Sexappeal von Mikrowellenöfen. Und nach den Regeln des Spiels hätte es immer so weiter gehen können. Erst Apple fand den Mut mit dem iPod nicht nur das Gerät, sondern mit dem iTunes Music Store den gesamten Musikmarkt neu zu erfinden. Und auch wenn die Musikindustrie inzwischen Apples Macht auf diesem Markt beklagt, damals bedeutete der Bruch mit allen Regeln ihre Rettung vor der Bedeutungslosigkeit.
Jahre später schien sich die Revolution auf dem Markt der mobilen Telefonie zu wiederholen, wieder initiiert von Apple, aber diesmal bereits aufgeladen durch die Erfolgsgeschichte des iPod. Schon vor seiner Einführung wurde das iPhone zur Erlösungsfigur, zum "Jesus Phone" erhoben. Und wirklich ist es Apple auch gelungen einen Standard an Form und Funktion zu setzten, an dem sich alle anderen Hersteller ausrichten müssen.
Erst wenn man so an Apples Fähigkeit Wunder zu tun gewöhnt wurde, fällt der Glaube an die neuen Verheißungen des iPad leichter:
Die Erlösung der Printmedien von der Geißel kostenloser Inhalte im Internet?
Die Erschließung letzter Märkte, als erster der Generation Silversurfer zumutbarer Computer?
Die endgültige Eroberung des heiligen Grals der Unterhaltungselektronik, der Wohnzimmer-Couch?
Ja, man muss es nur mit den gläubigen Augen eines Andy Ihnatko sehen und all das wird nicht nur möglich, sondern Bestimmung. Nach dem Jesus Phone nun das Moses Tablet.
Allein, der Unglaube hält hartnäckig den Blick für die Welt außerhalb des Apple Evangeliums offen. Und siehe, der tatsächliche Erfolg des iPad, hängt an einer einzigen Frage: Wessen Geschichte wird es wiederholen? Die des iPods, oder die des iPhones?
Der iPod hat nicht nur seine Geräteklasse und seinen Markt neu bestimmt, er hat diesen Markt auch für alle anderen Anbieter für Generationen zu verbrannter Erde gemacht. Der iPod ist kein MP3-Player, er ist das Cleenex, das Post-It, die Coke der MP3-Player. Niemand glaubt an einen anderen MP3-Player neben ihm.
Und so sehr Apple es auch zu leugnen versucht; gemessen an diesem Erfolg des iPod, muss man schon das iPhone für zu leicht befinden, es hat ihn so nicht wiederholt.
Ja, das iPhone hat 2007 neue Maßstäbe für alle Mobiltelefone in Form und Funktion gesetzt, Ja, die Konkurrenz hat 3 Jahre gebraucht, um sich von diesem heilsamen Schock zu erholen. Ja, die Erde hat gebebt.
Aber sie wurde nicht verbrannt. 2010 ist der Markt für Mobiltelefone immer noch ein freier Markt, kein Altar für das iPhone. Die Konkurrenz reagiert, Wie Microsoft 1995 auf Apple Mac OS reagierte. Mit Alternativen. Apples Vorsprung verbrennt.
Apple ist mit dem iPad in einen Markt eingetreten, der jetzt schon viele Alternativen bietet. Für den Erfolg des iPad wird es deshalb nicht genügen, neue Maßstäbe zu setzen. Apple muss den Markt für digitale Medien wieder komplett zerstören, nach eigenen Regeln neu aufbauen und für seine Konkurrenz auf lange Zeit unprofitabel halten.
Gelingt dem Moses Tablet, woran das Jesus Phone gescheitert ist?
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