21 August 2010

Inception – Die Matrix für Erwachsene




Das Dunkel des Kinosaals zu verlassen, nicht nur um einige unterhaltsame Augenblicke, sondern um tiefe Erfahrungen, ja Erkenntnisse reicher, das ist ein immer seltener, immer kostbarer werdendes Geschenk. Es fordert Dankbarkeit. Danke Christopher Nolan, dass ich Inception sehen durfte!
 
Weiter und weiter wird das Kinopublikum konditioniert, selbst die banalste Posse als dürren Vorwand für die nächste, sinnfreie Materialschlacht in 3D widerspruchslos noch als Ereignis verfüttert zu bekommen. Mehr und mehr entbindet sich das Kino von dem Anspruch, Geschichten zu erzählen, Gefühle zu vermitteln, Ideen zu demonstrieren. Einzig der Zeitgeist wird noch abgebildet, aber längst nicht mehr in seiner Brechung, im Hinterfragen, nicht zu denken, im Widerspruch. Der Bezug des Kinos auf den Zeitgeist verkommt zum Rückbezug auf sich selbst, zur Nabelschau. Schillers überspanntes Ideal der Schaubühne als moralische Anstalt, nicht mal mehr das, nur noch ein verzweifeltes Witzchen auf den Cocktail-Parties der Creative Directors.
 
Dabei schließt sich auch hier nur ein kulturhistorischer Kreis. Kino kehrt zurück zu seinem Ursprung, der Attraktion im Jahrmarktszelt von 1895, als Zuschauer zwischen Entzücken und Entsetzen vor Dampflokomotiven davon liefen, die ihnen aus der Leinwand „lebensecht“ entgegen rasten. Wenn es nun wieder so einfach geht, warum noch anders?
 
Vor diese kollektive Kapitualtion vor der eigenen Ideenblockade stellt Christopher Nolan mit Inception sein trotziges „Weil ich es noch anders kann!“.
 
Eine Schlüssel-Metapher des Films beschreibt gleichzeitig, was er mit dem Zuschauer macht. Der, betäubt in seinem als Bewusstsein geglaubtem Traum, bekommt einen schmerzhaften Tritt, wird hinunter gestoßen unter eiskaltes Wasser. Das erst ist sein Weckruf zurück in die bewusste Wirklichkeit.
 
Ist das die Wirklichkeit? Die Handlung entwirft im Verlauf unzählige Alternativen davon, keine bleibt ohne Brechung, keine wird nicht hinterfragt, keine bleibt ohne Widerspruch.
 
Wie beiläufig unterfüttert Nolan den Film dabei durch und durch mit Bezügen auf die ideentheoretischen Ansätze der letzten 2000 Jahre.
 
Deutlich, der gnostische Gedanke von Wirklichkeit als konstruierter Traum-Täuschung in die man durch andere versetzt wird, aus der man durch andere erweckt werden muss. Nolan arbeitet hier klar die Gefahr der Gnosis heraus, das eigene Leben als Täuschung zu verleugnen und den Freitod als Mittel der Erweckung ins wahre Leben zu wählen.

Dass gnostische Täuschung und Erleuchtung im Film beide mit den Mitteln der Hochtechnologie erreicht werden, ist nur ein weiterer Fingerzeig für die Phantasie des Zuschauers in eines von unendlich vielen, unendlich weiten Feldern.

Ebenso deutlich, der Einfluß der Memetik. Hier wie dort, werden Ideen als Viren ähnliche Einheiten beschrieben, die in ihrer Eigendynamik von infektiöser Weitergabe, Mutation und Verbreitung den aus der Genetik bekannten Mechanismen folgen.
 
Das und mehr an Bedeutungszusammenhängen transportiert Inception ständig mit, wird dabei nicht einmal verkopft, maniriert oder langweilig. Mit Spezialeffekten auf der Höhe der Zeit bedient sich Nolan im Dienst seiner Geschichte allen formalen Konventionen Hollywoods, bedient diese aber nicht. Darsteller, nicht Effekte sind seine Medien sublimer Botschaften. Das zeitweise schmerzhaft intensive Spiel von Cotillard, Page und diCaprio trägt die Verbindung zwischen der Fiktion und dem persönliche Erleben jedes Zuschauers.

Nolan beweist seinen künstlerischen Mut am eindrucksvollsten in der Verweigerung gegen den letzten Schrei der Modeindustrie um den nackten Kaiser Kino: 3D. Man hört noch die Schreie aus der Marketing-Abteilung von Warner, bei der Entscheidung es nicht zu nutzen. Und es ist ein umso peinlicher Schlag gegen die 3D-besoffenen Regisseure von heute, dass dieser Film dieses Allheilmittel zu keiner Sekunde braucht, um auf allen Ebenen optimal zu wirken. Noch ein Weckruf?

Die Zusammenarbeit mit Christopher Nolan scheint selbst Hans Zimmer noch zu besserer Filmmusik zu inspirieren. Genügt er sich bei den Filmen anderer Regisseure lange schon mit Aufgüssen des immer gleichen, profitablen Einheitsbreis, schafft er für Nolan, wieder mal, echte Atmosphäre. Ein schleppend schwer pulsender Tinitus unterströmt das immer präsente Gefühl von nicht fassbarer Bedrohung durch das Unheimliche. In diesem Zusammenhang gewinnt selbst die durch den Gesang von Edith Piaf aufleuchtende Sentimentalität eine heimtückische Ebene. Update!

Dies ist ein wichtiger Film. Er erfüllt das Versprechen, das der erste Teil der Matrix-Trilogie gab und das durch dessen Fortsetzungen bitter enttäuscht wurde. Er verweist diesen Vorgänger im Geiste dort hin, wo er gehört, ins Kinderprogramm.

Inception hat nur das Offensichtliche zu verschenken. Unter der dünnen Oberfläche fordert er den Mut, das Kino mit mehr Fragen als Antworten zu verlassen. Fragen, die nicht mehr los lassen, Fragen die tiefer gehen. So tief, bis es weh tut.

Was ist mein Totem? Ist es noch da... ?

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