12 September 2010

Keine Integration ohne Werte! Plädoyer für ein besseres Angebot an die Parallelgesellschaften


Wir halten diese Wahrheiten für durch sich selbst bewiesen:

Alle Menschen sind gleich erschaffen. Sie wurden von ihrem Schöpfer mit bestimmten Rechten ausgestattet.

Diese Rechte können ihnen nicht genommen werden. Unter diesen sind das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glück.

Die Sätze haben ihren Wert für die kulturelle, die politische Diskussion über 230 Jahre unvermindert bis heute behalten.
Gleichgültig, ob die Autoren dieses Textes, in den Denkmustern ihrer Zeit nur freie, weiße Männer als Menschen ansahen. Gleichgültig, ob ihre Religiösität von den Lehren der Freimaurerei getragen und damit im Kern gnostisch geprägt war. Man kann und muss den Inhalt losgelöst von dieser berechtigten Kritik deuten, will man daraus Chancen für das Hier und Jetzt ziehen.

Allein in dieser Präambel vollbringen Jefferson, Franklin und ihre Mitautoren eine gedankliche Leistung, an der Generationen von Politikern nach ihnen, mit immer dramatischeren Folgen, gescheitert sind:

Sie verbinden in ihrem Text die erste Regierungserklärung der Aufklärung mit einem religiösen Glaubensbekenntnis. Damit gelingt ihnen die Versöhnung zweier Pole, die danach nur noch durch ihre Gegensätze bestimmt wurden. Sie rechtfertigen die politischen Forderungen der aufgeklärten Vernunft mit einem gottgegebenen Naturgesetz, einem heiligen Auftrag.

Erst diese Heiligsprechung der Aufklärung, ihre Einbindung in den Sinn und Identität stiftenden Zusammenhang des Glaubens, ermöglicht ihren Brückenschlag von der Vernunft der Menschen zu ihrem Gefühl.

Erst durch ihre Vereinbarung mit dem Glauben wird die Aufklärung menschlich, für Menschen erträglich und lebenswert.

Was diese Erkenntnis heute noch so wertvoll macht, zeigt sich, wenn man betrachtet, wie oft und mit welch grauenhaften Folgen, ihre Umsetzung danach scheiterte.

Beispielhaft: Französische Revolution: Die Vernunft, das höchste Wesen und der große Schrecken

Schon 16 Jahre nach der Veröffentlichung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung versuchten die Vordenker der französischen Revolution Vernunft und Aufklärung ohne Bezug auf die emotionale Bindung des Glaubens heilig zu sprechen. Doch ihr Kult der Vernunft, der die Existenz eines Gottes entweder ganz leugnete, oder zu einem naturwissenschaftlichen Mechanismus reduzierte, war ein zu kalter Ort um dem menschlichen Bedürfnis nach Geborgenheit eine Heimat bieten zu können. Auch der zweite Versuch, die Vernunft selbst zum göttlichen höchsten Wesen zu erheben und ihr eine emotional aufgeladene, religiöse Tradition quasi aus dem Stand an zu dichten, konnte nicht über die kalte Leere hinter dieser Fasse hinweg täuschen und hinterließ letztlich eine Gemeinschaft lauter spirituell Obdachloser, Verzweifelter. Ist die Vermutung abwegig, der folgende große Terror sei auch eine Übersprungsreaktion auf diese kollektive Erfahrung seelischer Leere und Einsamkeit gewesen?

Beispielhaft: Die Ermordung des Heiligen in zwei Weltkriegen,der Existentialismus als sein Totengräber

Hatte die Aufklärung die Vernunft heilig gesprochen und den Glauben geleugnet, versuchten die aus der reaktionären Romantik hervorgegangenen Ideologien des 19. und des 20. Jahrhunderts gleich beides zu vernichten und sich zu irrationalen Ersatzreligionen mit Anspruch auf Weltherrschaft zu erheben. Bediente sich der nationale Imperialismus im ersten Weltkrieg noch der Rechtfertigung durch die christliche Religionstradition („Für Gott, Kaiser und Vaterland!“), ging der rassistische Nationalismus weiter und erfand seine eigene religiöse Tradition, inklusive Schöpfungsgeschichte und Erlösergestalt. Im Wirken dieser Bewegungen, starben Glaube und Vernunft in zwei Weltkriegen gemeinsam. Für folgende Generationen bis heute sind beides verbrannte Begriffe, zweifelhaft, trügerisch, leer. Der Existentialismus formuliert nicht zuletzt diese zweite Epoche menschlicher Einsamkeit in einer von Glaube und Vernunft verlassenen Welt.

Wo stehen wir heute?

Mit dem Terror des 11. September 2001 ist das Heilige als Sinnstifter und Identifikationsmöglichkeit für die globalisierte säkulare Kultur endgültig diffamiert und unberührbar geworden. Dem entgegen, hat der religiöse Fundamentalismus die Vernunft zum Feind des Heiligen erklärt und ihr als solchem den Krieg erklärt. Jedes Lager in dieser bipolaren Situation steht für das andere unter Generalverdacht. Solange dieser Zustand anhält, muss jeder Versuch wechselseitiger Integration folgerichtig in Gewalt und Leid enden.

Unsere globalisierte Kultur ist heute eine Kultur der Vernunft ohne Menschlichkeit, ohne Identität, ohne Werte, Sinn und Ziel.

All das sind Dinge, die der nach außen menschenfeindliche religiöse Fundamentalismus nach innen durchaus und zuverlässig bietet.

Mit einer Verkürzung der Diskussion auf das irrationale Vokabular des Rassismus können die fundamentalistischen Parallelgesellschaften unter uns nicht geöffnet werden.

Ebenso wenig mit einer einseitigen Bildungsoffensive, die wieder nur die Vernunft der Menschen anspricht, sie in ihren Herzen aber weder erreicht, noch abholt.

Wir müssen die durch sich selbst bewiesenen Wahrheiten neu entdecken, neu benennen und uns zur aufgeklärten Menschlichkeit mit Gefühl und Vernunft entschieden bekennen. Nur wenn wir uns nicht scheuen, dieses Bekenntnis zu heiligen ohne es zu vergöttern, haben wir ein Integrationsangebot, das dem Fundamentalismus auf die Frage „Wofür stehst Du?“ mehr antworten kann als, „Was darf 's denn sein?“

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