01 Januar 2012

Kultur wird Netzkultur - die nächsten 10 Jahre



Seit diesem Vergleich von 2001 ist das Internet durch eine qualvolle Pubertät seinen Kinderschuhen entwachsen. Es ist das beherrschende Medium einer weltweit verschmelzenden Kultur.
Ist es wirklich schon ein Massenmedium? Kann es in den Entwicklungen unserer Zeit zum Massenmedium werden? Oder verkommt es zu einer neuen Waffe in den Verteilungskämpfen der digitalen Spaltung?

Netzkultur USA/Deutschland
Den Zustand eines einzelnen Staates als Unterscheidungsmerkmal für einen Vergleich von Netzkulturen zu gebrauchen, machte 2001 noch Sinn. Ende 2011 ist der Ansatz an sich veraltet. Aber selbst an dieser Tatsache lässt sich eine Entwicklung nachweisen.

Die Netzkulturen von damals sind in der Globalisierung der Wirtschaften und Märkte zu einer Kultur verschmolzen.

Überall wird Netzkultur Internetkultur. Überall stirbt das traditionelle Telefongespräch einen langsamen, leisen Tod. Jeder Computer ist Telefon. Jedes Telefon ist Computer. Jede Telefonleitung ist Datenleitung.

Indem das Telefon im Computer aufgeht, kämpft auch das Telefongespräch als kulturelle Handlung um seine Daseinsberechtigung. Die Anfragen unserer Mitmenschen zeitversetzt über E-Mail, SMS oder virtuelle Netzwerke anzunehmen und zu beantworten war damals noch eine Möglichkeit. Heute entwickelt es sich mehr und mehr zur gesellschaftlichen Norm. War das klingelnde Telefon damals noch ein Angebot für zeitgleichen, unmittelbaren, zwischenmenschlichen Kontakt, wird es heute mehr und mehr zum Zwang, zur Störung umgedeutet und tabuisiert.

Netzkultur ist überall immer verfügbar.

Die gemeinschaftlichen Bindekräfte ihrer Netzwerke wirken ständig. Es ist bezeichnend, dass der Begriff “virtuelle Netzwerke” immer seltener gebraucht wird, der Begriff “soziale Netzwerke” dafür umso häufiger.

Netzkultur wird nicht mehr als künstlich empfunden. Sie wird Alltag. Sie wird menschlich. Sie wird wirklich.

Netzkultur wird Kultur. Kultur wird Netzkultur.

Sie vermittelt Information, Tatsachen wie Ideen, Lügen wie Wahrheiten immer und überall vergleichbar, prüfbar, durchschaubar.

Sie ist der Raum, in dem sich Menschen, ihre Ideen, ihre Gesellschaften begegnen, gegenseitig bereichern, verändern, weiterentwickeln. Immer. Überall.
Auf den Strassen Afrikas, Europas und Amerikas.

Die mobile Revolution - technischer Fortschritt als Antrieb eines kulturellen Rückschritts

Das alles klingt, als stünden wir mal wieder am Ende der Menschheitsgeschichte, am Beginn des dritten Zeitalters nach Joachim von Fiore.

Doch das war immer schon zu schön um wahr zu sein und bleibt es.

Wer es trotzdem glaubt, will die allzu weltlichen Kräfte leugnen, die diese Entwicklung bis jetzt angetrieben haben.

Die Netzkultur hätte ihre beherrschende Stellung nicht erreicht, wenn sich die Pauschale als Berrechnungsgrundlage für die Kosten der Nutzung des Internets nicht so unerwartet schnell und umfassend durchgesetzt hätte.

Die Netzkultur als Medium das jeden mit allen und allem verbindet, steht und fällt mit der Flatrate, die das Internet für jeden immer und überall bezahlbar und damit nutzbar hält.

Doch dieses immer und überall ist dank der mobilen Revolution des Internt heute öfter und weiter denn je.

Wir nehmen unsere Netzwerke immer und überall hin mit uns; unsere Netzwerke folgen uns immer und überall hin. Unsere Netzwerke sind zeitloser, grenzenloser als je zuvor.

Die mobile Revolution des Internet gebirt tatsächliche Revolutionen.

Und gerade in einem solchen Augenblick, da das Internet auf seinen Reisen durch die Straßen unserer Städte und Dörfer mehr Menschen, Ideen und Informationen mit einander verbinden, mehr Veränderung und Entwicklung in ihnen bewirken könnte als je zuvor; im selben Augenblick benutzen die Internet-Anbieter der Welt, gerade diese Hoffnung verheißende Entwicklung als betriebswirtschaftliche Rechtfertigung, den Fortschritt rückgängig zu machen, die im letzten Jahrzehnt der Breitband-Zugänge bereits eingerissenen Grenzzäune und verwitterten Zollhäuschen im Netz neu zu errichten und die Internet-Nutzung über die Wiedereinführung dauer- und/oder mengenabhängiger Abrechnung wieder zu einem künstlich knapp und teuer gehaltenen Gut für die zu machen, die sich knapp und teuer leisten können.

Das weltweite Netz 2012 verkommt zum deutschen Netz von 2001.

Die digitale Spaltung der Gesellschaft reißt weiter auf.

Der erstmalige technische Auf- und Ausbau von Internet-Zugängen erfordert hohen, teuren und einmaligen Aufwand. Der nachfolgende Betrieb und Unterhalt einmal eingerichteter Zugänge ist im Verhältnis dazu wesentlich kostengünstiger.

Zwischen 2001 und 2006 konnten die Internet-Anbieter den Bedarf ihrer Kunden an immer schnelleren Internet-Zugängen weltweit noch über die bereits vorhandenen Festnetze bedienen. Deren technische Optimierung war betriebwirtschaftlich günstiger, als die Entwicklung und der Aufbau komplett neuer Techniken und Netze. Von Dauer und Menge der Nutzung unabhängige, feste Nutzungsgebühren reichten aus, Betrieb und Unterhalt zu bezahlen und darüber hinaus verlässliche Gewinne zu machen. Durch die aufkommende Zusammenführung von Telefonie und Fernsehen im Medium Internet ergaben sich langsam noch mehr Möglichkeiten Kosten zu senken und Gewinne zu steigern.

 Dies alles galt, solange die Nutzer mit ihren Internet-Zugängen in den Grenzen ihrer Wohnungen und Büros blieben.

2007 änderte Apple mit dem iPhone, dem ersten wirklichen Smart Phone, wieder einmal alles und zwang jeden zum Umdenken, Verändern, Handeln.

Der Traum der Nutzer, ihr Internet mit in ihre Welt da draußen nehmen zu können, wurde Wirklichkeit. Der Alptraum der Internet-Anbieter begann.

Niemand hatte die folgende, mobile Revolution des Internet für möglich gehalten, erwartet, geschweige denn vorbereitet.

Dem iPhone folgten in Kürze zahlreiche Nachahmungen. Mit ihnen wollten jetzt wirklich alle immer und überall im Netz sein, genauso, wie sie es in fünf Jahren Flatrate zu erwarten gelernt hatten. Eine ungeahnte Nachfrage ohne ein Angebot das sie bedienen konnte.

Aus den Anfangstagen des ersten iPhone ist bekannt, dass Nutzer die mobilen Funknetze von Großstädten wie New York und San Francisco mit ihren Zugangsanfragen gemeinsam zum Stillstand brachten.

Diese Krise der alten Techniken könnte eine Chance sein, das Netz mobil neu zu erfinden, auszubauen, die Grenzen des Überflusses an Ideen, Informationen und Chancen noch weiter in die Unendlichkeit zu verschieben

 Die Reaktion der Internet-Abieter ist das Gegenteil.

Geschlossen stemmen sie sich gegen Druck der Wirklichkeit, ihre mobilen Netzwerke technisch dem gegenwärtigen Bedarf ihrer Nutzer anzupassen. Sie rechnen den mobilen Netzverkehr ihrer Kunden immer noch nach über zehn Jahre alten, unzeitgemäß teuren Tarifen ab. Sie bestrafen Menschen, die das Netz als festen Teil ihrer Wirklichkeit brauchen und leben mit willkürlich gedrosselten Übertragungsgeschwindigkeiten und Datenmengenobergrenzen. Sie bringen dieses Weltbild mit Macht in Teile des Internet zurück, in dem sie längst überwunden schienen.

Mehr und mehr werden bestehende, unbedingte Flatrates im Kleingedruckten der Festnetz-Verträge wieder in von Menge und Dauer der Datenströme abhängige Tarife umformuliert.

Grenzen der Freiheit von Ideen, Meinungen und Informationen werden so mit wirtschaftlichem Druck neu errichtet, statt überwunden zu werden.

Werden kommende Generationen wieder im Glauben erzogen das Internet sei ein knappes, teures Gut für wenige?

Sein Versprechen ein Medium für die Massen, für wirklich alle Menschen zu werden, kann es so nie erfüllen.

Auf einmal wünscht man sich, die Regierenden der Welt würden ihrer Verantwortung gerecht, den gesellschaftlichen Wert des Internet vor diesem Niedergang wehrhaft zu beschützen.

Statt dessen verbündet sich die Politik mit der Wirtschaft unter dem Vorwand geistiges Eigentum schützen zu müssen und verschärft das Problem der digitalen Spaltung noch mit staatlicher Zensur.

Die fünfjährige Epoche der Flatrate war vom Ausblick von 2001 gesehen ein unwahrscheinlicher Glücksfall.

In ihr haben wir gelernt, was Freiheit im Internet möglich macht.

So viele dieser Möglichkeiten sind noch nicht genutzt.

Werden wir unsere Freiheit wieder aufgeben?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen