15 November 2006

Egalität ist unbequem und real - Liebesbriefe an den Führer


In einem Punkt gebe ich Eva-Maria recht: "Die Deutschen hatten eine Wahl, die Juden nicht; das wird für immer der Unterschied bleiben, dem sich niemand entziehen kann."

Allerdings hat dieser historische Unterschied keine Bedeutung mehr für das Selbstverständnis beider Gruppen in der Gegenwart.

Niemand kann unseren Eltern und Großeltern ihre damalige Entscheidung für Gut oder Böse abnehmen, geschweige sie negieren.

Die Entscheidung bleibt ein Fakt, mit dem sie wie wir leben müssen.

Aus diesem Fakt lassen sich weder Opfer- noch Täter-Identitäten für gegenwärtige Generationen ableiten.

Wer sich als junger Deutscher über die Täter-Rolle seiner Vorfahren identifiziert, macht es sich ebenso bequem, wie ein junger Jude, der sich als Opfer identifiziert, weil seine Eltern oder Großeltern Opfer gewesen sind.

Beide entziehen sich der Verantwortung, ihre eigenen Entscheidungen über Gut und Böse im Jetzt und Hier zu rechtfertigen.

Beide identifizieren sich so als Opfer der Generationen vor ihnen.

Es ist einfach und bequem den Nazi in der eigenen Familie genau darauf zu reduzieren, ihm seine menschlichen Zwänge und Opfer abzusprechen und ihn so als Stereotyp Täter zu entmenschlichen.

Egal wie eindringlich ich mich über ihn als Teil eines Täter-Volkes identifiziere, gleichzeitig benutze ich den Stereotyp um mich doch im Gegensatz zu ihm zu bestimmen.

Denn ich bin ja der geläuterte, Mensch gebliebene, gute Deutsche. Und in dem harten Gegensatz zum deutschen Nazi der Vergangenheit, darf ich das auch immer bleiben.

Die Lesung der "Liebesbriefe an Hitler" in der Tagungsstätte "Synagoge" in Wittlich hat ein Gutes: Sie kratzt an unserer Bequemlichkeit ein Volk von Tätern zu sein.

Ich muss mich mit Schicksalen auseinandersetzen, die nicht in meine bequeme Typisierung passen, sondern, bei aller untilgbaren Schuld, menschliche Schicksale sind.

Ich muss mich in den Ängsten und Hoffnungen dieser wieder Mensch gewordenen Stereotypen wiederentdecken.

Das bricht den Gegensatz auf, der es mir erträglicher machte, zu einem Volk von Tätern zu gehören.

Ich kann meine Entscheidungen über Gut oder Böse nicht mehr mit der Schuld des alten Nazi rechtfertigen, denn dieser Mensch ist nur mein Spiegelbild.

Das schmerzt.

Das zwingt mich aus der kollektiven Schuld in die eigene Verantwortung.

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