23 Oktober 2010

Sterben der Bilderbücher, Renaissance der Texte - Ein Machtkampf von heute um die Eliten von Übermorgen


Es ist unfair, US-Amerikanischen Eltern pauschal übertriebenen Ehrgeiz auf Kosten ihrer Kinder vorzuwerfen, weil sie ihnen tendenziell weniger Bilderbücher zu schauen und dafür immer früher, immer mehr Bücher zu lesen geben.

Ja, die Bemühungen um die frühkindliche Bildung ihres Nachwuchs laden oft zu Vergleichen mit familiärer Gewalt ein. 
Da werden Dreijährige zum professionellen Musikunterricht und Leistungssport getrieben, unter drei Fremdsprachen im teuren, privaten Kindergarten bedeuten sozialer Abstieg.

Ja, der Schaden, den dieser Leistungsdruck im sich noch in seiner Entwicklung befindenden, kindlichen Selbstbewusstsein anrichtet, ist, auch und gerade in seiner gesamtgesellschaftlichen Wirkung, noch immer nicht schätzbar.

Vielleicht sind all die niedlichen Kleinen, die heute den „Hummelflug“ so entzückend auf der Violine geben, die American Psychos von morgen? Intelligent. Erfolgreich. Tödlich? Wer weiß?

Aber zeigt sich hier nicht nur ein einzelner Aspekt einer viel weitreichenderen Renaissance von Texten?

Wächst dieser Leistungsdruck wirklich nur aus dem persönlichen Ehrgeiz der Eltern, die ihre Kinder zu seinem Werkzeug machen?

Bezahlen die Eltern hier nicht tatsächlich ihren Preis für ihren Teil am amerikanischen Trauma, das ebenso tief in ihrem kollektiven Memplex verwurzelt ist, wie die Versprechen von grenzenlosen Weiten und unendlich vielen Chancen:

Du bist als Mensch nur so viel wert, wie Deine Leistung. 
Dein Kind ist Deine Leistung.

Dieses dunkle Mantra wird in der amerikanischen Kultur nur selten so klar und deutlich formuliert. Und doch gehört es zu den stärksten, treibenden Kräften des Bildungssystems, wird unterschwellig mit jeder weiteren, persönlichen Erfolgsgeschichte des amerikanischen Traums tiefer in das geteilte Bewusstsein getrieben.

vom Zwang des amerikanischen Traumas kann sich nur frei kaufen, wer die Freiheit des amerikanischen Traums bezahlen kann.

Wer das nicht kann oder will, büßt sein soziales Versagen mit der Zukunft seiner Kinder.

Diese Rechnung geht auch für die auf, die durch sie nichts gewinnen können.

Der Leistungsdruck zu immer früherer, immer schnellerer, immer anspruchsvollerer Bildung wächst aus den Ängsten, den eigenen sozialen Status nicht vererben zu können, oder vererben zu müssen.

Aus dem Blickwinkel dieser Ängste erkennen die Eltern die Zeichen ihrer Zeit:

Unsere Gesellschaft spaltet sich immer weiter und mit immer härterer Trennung in elektronische Beherrschte und elektronische Herrscher.

Die elektronischen Beherrschten von Übermorgen leben in unendlichen medialen Multiversen, mit unendlich vielen audio-visuellen Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten. In diesen Lebenswelten haben die Beherrschten unendliche Macht und Freiheit. Aber erwachsen aus einer medialen Bildung ohne Text, nur mit Bildern und Geräuschen, ging ihnen der alphanumerische Schlüssel verloren, ohne den sie den Ursprung und die Grenzen ihrer Welten nicht erkennen, deren Grenzen nicht überwinden können.

Die an einer Bildung an und mit Text erwachsenen elektronischen Herrscher besitzen diesen alphanumerischen Schlüssel. Er ist das Zeichen und Werkzeug ihrer Macht. Er ist ihr Zugang zu den Maschinen mit denen sie die Welten der Beherrschten programmieren, erschaffen, steuern, erhalten und zerstören.

Milliarden Menschenleben, jedes für sich eine Truman Show. Die Zukunft, ein gnostischer Alptraum vom Seelengefängnis Welt und den im Verborgenen führenden Archonten.

Mein Kind soll kein Beherrschter sein. 

Treibt dieser Gedanke die Mutter, die ihrem Kind das Bilderbuch für das Buch vorenthält? Gibt sie ihm damit eine Garantie, eine Chance oder ein Risiko? Was verliert das Kind ohne Bilderbuch? Was fehlt dem Herrscher von Übermorgen? Wie wird er den Verlust bewerten?

Wird er ihn empfinden?

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