07 August 2011

Jerusalem – New York – Oslo, das ist nicht unser Krieg.


Anders Behring Breivik will das gute Abendland und seine Kultur gegen deren biologische Vernichtung durch die böse Kultur des Morgenlandes verteidigen, welche Breivik, wie viele mit ihm, mit dem radikal militanten Islamismus gleichsetzt.

Die Waffe seiner Wahl, die letzte, die er nicht als stumpf ansieht, ist der Schrecken.

Für Breivik sind seine Taten keine Kriegserklärung, sondern die überfällige Antwort darauf.

Die heldenhafte Antwort eines Einzelnen auf die überwältigende Bedrohung von Vielen.

Sein Schrecken wirkt. Schrecken über das das schiere Ausmaß seiner Taten. Schrecken über die gründliche Planung, Vorbereitung und Durchführung. Schrecken über das unbeschreibliche Leid der Überlebenden, der Angehörigen, der Hinterbliebenen.

Doch da ist noch etwas, ein Schrecken, so furchtbar, so eng an unseren tiefsten Ängsten, dass immer noch kaum jemand wagt, ihn offen zu benennen.

Tatsächlich kann man sein Dasein nur ahnen, ableiten aus sichtbaren Reaktionen, die scheinbar keinen Bezugspunkt haben, wie das Verhalten von Körpern zu dunkler Masse im Universum.

Die Vielen, die Breivik mit seinem Morden retten will, seine Heimat, seine Kultur, sein Volk, das sind wir. Nicht weil er uns dazu gemacht hat, sondern weil wir es schon waren und immer noch sind, weil wir uns von anderen vor ihm dazu haben erklären lassen.

Dieses Erschrecken über uns selbst in Breiviks Spiegelbild, ist der Schrecken, der uns im Innersten trifft. Ihn zu benennen erfordert, uns selbst in Frage zu stellen.

Das ist ebenso schmerzhaft wie notwendig auf dem Weg zum Ende eines Krieges, der nie unserer war.

Die Medien als Spiegel und Vermittler der Ansichten, Meinungen und Stimmungen der globalen Gesellschaft überschlagen sich in der atemlosen Beschreibung unserer aller Verstörung.

Dabei werden durchaus wichtige Fragen nach Breiviks memetischen Wurzeln gestellt, in den eiligen Verweisen auf mögliche geistige Umnachtung und Verwurzelung in rechtsradikalen Internet-Foren, werden aber die folgerichtigen Antworten um unseres inneren Friedens Willen verleugnet.

Tatsache ist; kein radikales Mem, noch die aus ihm folgende Tat entsteht aus sich selbst. Am Anfang jeder Radikalisierung stehen Meme, die von der Mehrheit der Gesellschaft geteilt werden und verinnerlicht sind.

Breiviks eigenes Manifest ist weniger politisches Dokument, als vielmehr Verlaufsprotokoll einer fortdauernden memetischen Kreuzzüchtung aus Kopien, Verweisen, Interpretationen als Träger memetischer Information.

Die Meme, die das Weltbild Breiviks aufbauen, sind seid Jahrhunderten im Umlauf, befinden sich spätestens seit dem 11. September 2001 in ihrer jüngsten Phase der andauernden Hochzüchtung zu immer härterer Radikalisierung.

Mögen David Koresh und Timothy McVeigh auch Prototypen gewesen sein, vor dem 11. September 2001 gab es zum religiös gerechtfertigten Terror aus der dritten Welt, in der ersten Welt keine Entsprechung in seiner Größenordnung.

Der Anschlag auf das World Trade Center war keine Kriegserklärung, sondern al-Qaidas Köder für die erste Welt, in Erwartung eines Gegners, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht da war.

Breiviks unmittelbare und mittelbare Vordenker bissen dankbar zu.

10 Jahre lang trugen sie al-Qaidas Feindbilder in unsere Gesellschaft, in unsere Presse, in unsere Talk-Shows, in unsere Köpfe. Die Feindbilder wurden zu Vorbildern umprogrammiert, ungebrochen, nicht hinterfragt.

10 Jahre lang wurde, ungebremst vom hilflosen Populismus der europäischen Politik, die geistige Front errichtet, die al-Qaida sich wünschte.

Das insbesonders die Konservativen Europas sich diesem Streben eher angedient als widersetzt haben, ist ihr größtes moralisches Versagen seit 1938.

Sie haben ihre Werte damit an die geistigen Brandstifter verschenkt und entwürdigt.

Breivik, der erste memetisch gezüchtete, heilige Krieger des Abendlandes ist al-Qaidas jüngster Erfolg.

Aber seine Tat gibt uns auch die Chance uns zu erinnern, dass wir nicht wie er sind. Die Welt, die Ideen, die Kultur die er verteidigen will, sind nicht unsere.

Er steht den Mördern von 9/11 geistig näher als uns.

Ihr Krieg, den sie führen müssen, um ihr Dasein gegenseitig zu rechtfertigen, ist nicht unser Krieg.

Wir müssen unsere Gesellschaft wieder jenseits seiner Fronten bringen.

Das gelingt nur, wenn wir anerkennen, wo wir jetzt stehen; wenn wir stark genug sind, Breivik in unserem Spiegelbild in die Augen zu sehen.

Bekämpfen wir nicht endlich die Meme, die ihn in unseren Köpfen vorbereitet haben, bleibt er ein Vorbild für Generationen seiner Klone auf allen Seiten der memetischen Front.

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