31 Juli 2011

Google+ - eine neue Hoffnung?

wie an so vielen Anfängen in der Entwicklung des Internet, stand auch an diesem ein Ende. Nicht das Ende von Google, doch das vorläufige Ende seines Zeitalters.
1998 bot Google dem Internet als einziger nur Suchergebnisse an, Suchergebnisse, Suchergebnisse und nichts als Suchergebnisse. 

 1998 wollte das Internet nichts mehr als das. Gerade auf dieser Selbsteinschränkung, auf diesem Sinn für den genau richtigen Grad der Reduktion auf das Gewünschte, das Wesentliche, gründete Googles ursprünglicher Erfolg und nicht etwa auf der Überlegenheit der eigenen Such-Algorithmen, wie es oft mystifiziert wird. 

 Und obwohl Google seit dem von E-Mail über Landkarten bis zu Videos alles in sein Angebot aufgenommen hat, was das Internet an Diensten kennt; in all dem konnte es bis jetzt immer den einladenden Anschein von Einfachheit erhalten. 

 Über Jahre und damit Internet-Ewigkeiten, blieben Suchergebnisse die vereinende Tauschwährung aller Internet-Dienste, blieb ihr Wert rein über die Menge ihrer Rückbezüge und Querverweise bestimmt, blieb Google ihr erfolgreichster Händler.

 We shape our tools and thereafter our tools shape us.
 Marshall_McLuhan, Understanding Media : The Extensions of Man 

 Was hier noch als ein Weg mit Anfang und Ziel verstanden werden kann, hat sich in der nachfolgenden Erfahrung längst als Kreislauf erwiesen. Die wechselseitige Gestaltung und Weiterentwicklung von Mensch und Maschine ist eine zyklisch verlaufende Schleife von Rückkopplungen ohne Ende. 

 Solange das Internet noch mehr Geheimnis war als Werkzeug, war es mächtig genug, seinen Benutzer nach den eigenen Gesetzen zu formen. Google gab diesem Austausch seinen Suchalgorithmus, den PageRank als gemeinsame Schnittstelle, Sprache, Währung. 

 Im Ablauf dieses Austausches näherte sich das Geheimnis Internet immer mehr dem Werkzeug an, entwickelte sich sein Benutzer immer weiter vom Empfänger zum Sender, zum Schöpfer. Je mehr die Benutzer das Internet als Werkzeug in ihre Leben einbanden, desto komplexer wurden die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Maschine, eine wachsende Komplexität, die Googles Suchergebnisse immer unvollständiger abbildeten. 

Als aus dem Gespräch zwischen Benutzer und Werkzeug, Gespräche zwischen Menschen wurden, in denen Maschinen nur mehr die Vermittler waren, drohte Google endgültig sprachlos zu bleiben, in der Kommunikation, die es selbst geholfen hatte zu beginnen. 

 Was folgte, war die erste echte Währungsreform des Internet: Der PageRank wurde abgelöst vom zwischenmenschlichen Bezug, dem Social Graph. Aus der Frage nach dem weltweit beliebtesten Apfelkuchen-Rezept wurde die Frage, welches Rezept meine Bekannten am liebsten mögen. Aus der Frage wo ich heute essen gehen soll, wurde die Frage, wo meine Freunde für heute Abend bereits einen Tisch bestellt haben. 

Aus der Bibliothek Internet wurde ein Stammtisch. 

 Der Internet-Währungsreform folgte, mal wieder, ein Goldrausch. 

 Im Wettbewerb, den Nutzern den besten Stammtisch anzubieten, blieben einige Dienste auf der Strecke. Friendster erkannte als erster den Trend, konnte aber die rasant wachsende Nachfrage seiner Nutzer nicht mit einem entsprechenden Ausbau der eigenen Infrastruktur beantworten. Die Kräfte einer vernetzten Wirtschaft, die man nach den von Kevin Kelly beschriebenen Gesetzen frei gesetzt hatte, waren unbeherrschbar und überwältigend geworden. 

 myspace gelang es im Vergleich dazu zwar, mit den immer größeren Anforderungen seiner Anwender Schritt zu halten und zu wachsen, dafür schaffte man es aber nicht, dem Dienst eine dauerhaft einheitliche und zusammenhängende Schnittstelle zu geben. 

Das unerschöpfliche Angebot von zwischenmenschlichen Bezügen und den mit ihnen verknüpften Informationen ging unter in einem undurchdringlichen Wirrwarr von animierten GIFs, psychodelisch bunten Hintergrundbildern und durcheinander geworfenen Schriftsätzen. 

 Für einen Augenblick der Geschichte des Internets machte myspaces schiere Größe es alternativlos. Doch alles wartete schon auf das soziale Netzwerk, das Größe, Reichweite und Funktion mit einer einheitlichen Form, einer klaren Struktur und einfacher Bedienung in Einklang bringen würde. 

 Bühne frei für Facebook

Mit seiner Schöpfung machte Mark Zuckerberg allem Anschein nach alles richtig. Ein System klarer Formen und einfacher Strukturen; einfach zu erweitern, einfach zu verstehen, einfach zu bedienen. 

 Alles gut. Alles gut? Alle Bedürfnisse befriedigt? Hat Facebook alle Fragen an das Internet als zwischenmenschlichen Vermittler vollkommen, endgültig und alternativlos beantwortet? 

 Offensichtlich trügt dieser Anschein. Wie sonst erklären wir das Misstrauen der Nutzer zu ihrem Werkzeug? Ihr zwanghaft regelmäßiges Überprüfen der Privatsphäre-Einstellungen? Ihr Streben nach Anonymität, gerade in einer Umgebung, die eigentlich Aufbau und Erhalt von Beziehungen erleichtern soll? 

 Die Nutzer trauen Facebook nicht. Warum? 

 Die Analogie zum Stammtisch bleibt ein tragfähiger Weg zur Erklärung, gerade weil ihr Gebrauch im Internet weit länger zurück reicht, als der Begriff des sozialen Netzwerks selbst. 

 Schon chatcity.de bediente sich, wenn nicht ausdrücklich, so doch mittelbar dieser Metapher. Seine Macher begriffen aber auch, dass der Stammtisch für sich nur eine Beziehungsebene der übergeordneten Analogie Gaststätte abbildet. 

Vereinfacht, kann man hierin drei Ebenen von einander unterscheiden. Der Schankraum einer Gasstätte ist tatsächlich öffentlicher Raum einer lose verbundenen Gruppe. Seine Trennung von der Außenwelt ist dünn und durchlässig. Er ist Publikum und Bühne für alle Anwesenden gleichzeitig. 

 Im Schankraum ist jeder Tisch, aber der Stammtisch besonders, eine weitere Ebene der zwischenmenschlichen Abtrennung nach außen. Er bleibt ein Teil der öffentlichen Umgebung und auf ausdrückliche Einladung für sie weiterhin zugänglich. Trotzdem umgibt ihn eine Sphäre der vereinbarten Zugehörigkeit, Vertrautheit, Verschwiegenheit, eine Privatsphäre. 

 Die letzte Steigerung dieser Ebenen immer stärkerer zwischenmenschlicher Abgrenzung ist das Hinterzimmer. Hier treffen sich geschlossene Gesellschaften um ihrer Geschlossenheit willen und drücken das durch die klare Trennung zum übrigen Raum deutlich aus. Nur der Gastwirt selbst, hat zu diesem, ihrem Raum noch Zugang. 

 Jede dieser Beziehungsebenen erfüllt ihren eigenen Zweck, befriedigt ein einzigartiges Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Teilnahme. Keine Ebene ist gegen eine andere austauschbar. Die Einhaltung der Gesetze ihres Miteinanders und Nebeneinanders ist entscheidend für ihr Funktionieren, ihren Erhalt. 

 Diese Analogie zur Gaststätte bricht erst an dem Punkt, an dem das soziale Netzwerk im Internet je nach Bedarf vom Schankraum zum Stammtisch, zum Hinterzimmer und zurück umgewandelt werden kann, mit einem Mausklick. 

 Soll ein virtuelles soziales Netzwerk nicht nur erfolgreich, sondern auch sozial sein, muss es wie ein guter Gastwirt, Schankraum, Stammtisch und Hinterzimmer allen Anwendern immer als Möglichkeiten bieten. Es muss den Erhalt ihrer Grenzen, ihrer inneren und wechselseitigen Vereinbarungen gewährleisten. Es muss den Anwendern die Entscheidung über diese Grenzen und Vereinbarungen überlassen. 

 In all dem und mehr versagt Facebook. 

 Sein erster Anschein von einfacher Bedienung endet bei den „Privatsphäre-Einstellungen“. Sie geben dem Anwender keine Kontrolle, sondern ein diffus kafkaeskes Gefühl. Was bedeuten Sie? Was bewirken sie? Wann werden sie verändert, wie und Warum? 

 Überhaupt, Privatsphäre? Wozu? Statt sie anzubieten, geschweige sich um ihren Erhalt zu kümmern, erklärt Zuckerberg sie rundweg für tot, zum historischen Überbleibsel. Wer trotzdem nicht darauf verzichten will, muss seine Privatsphäre in Facebook gegen Facebook schützen und verteidigen, umständlich und anstrengend, immer und immer wieder. 

 Gerade als sich Facebook anschickt, seine Nutzer umzuerziehen, dass der Tod ihrer Privatsphäre alternativlos sei, meldet sich Google aus dem kollektiven Vergessen zurück, mit seinem Vorschlag, wie es besser gehen könnte: Google+

 Und siehe da, es geht: klare Grenzen zwischen einfach zu bestimmenden sozialen Kreisen, die Möglichkeiten von Privatsphäre und Öffentlichkeit als immer durchschaubare Entscheidung von Fall zu Fall. 

 Nebenbei, die bisherige Entwicklung von Diaspora deutet darauf hin, dass Größe doch zählt, damit sowas funktionieren kann. 

 Ist es möglich, dass wir einer reuigen gefallenen Datenkrake mehr vertrauen können, als jemandem der seine Fehler lieber leugnet, als sie als die Absichten zu gestehen, die sie sind? 

 Anscheinend gibt es viele, die schon zu lange darauf warten mussten. 

 Für eine endgültige Antwort ist es zu früh. Unwahrscheinlich, dass Google+ das jüngste soziale Netzwerk bleibt. 

 Doch vielleicht wird Facebook das nächste Myspace?

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