11 März 2012

Leben unter Geistern - die memetische Entwicklung von Mythos und Magie zu Wissenschaft und Technik




Wer den Film “Ghostbusters” schaut, erfreut sich vordergründig an den Wundern einer modernen, märchenhaften Komödie, ihren witzigen Dialogen, ihren überraschen Wendungen, ihren magischen Spezialeffekten.

Dabei wird nur selten bewusst, wie groß die erzählerische Leistung tatsächlich ist, Überlieferungen wie Märchen und Magie mit Memen der Moderne, der Technologien unserer Wirklichkeiten in eine Form zu fassen, die von außen betrachtet, trotz der offensichtlichen inneren Gegensätze, aus einem Guss und ohne Bruch erscheint.

Ebenso, scheint es wenigen klar zu werden, wie viel es über das Selbstverständnis unserer Gesellschaft verrät, dass wir eben dieses Verständnis über so viele ähnliche Märchen von magischen Techniken und technischer Magie bestimmen.

Wie sehr haben wir uns tatsächlich schon daran gewöhnt, dass Erzählungen wie diese, überlieferte und sicher geglaubte Meme vom erbitterten Widerstreit der Wissenschaften gegen die Mythen, der Technologien gegen die Magie fortschreitend untergraben, überwinden?

Ist diese Entwicklung schon soweit mit uns gegangen, dass wir sie als Vorgang gar nicht mehr wahrnehmen?

Wie lange können wir uns noch daran erinnern, wie es vor dem Beginn dieser Entwicklung war?

Das Selbstverständnis einer Gesellschaft spiegelt sich in ihren Volkserzählungen.

Auch wenn es immer wieder Autoren gegeben hat, die diese Trennung übertraten, spiegelten die Gattungen von Science-Fiction und Fantasy bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts in ihrer Trennung gegeneinander, die Trennung zwischen Mythen und Wissenschaften, zwischen Techniken und Magie im damals vorherrschenden Weltbild.

Autoren wie J. R. R. Tolkien und Isaac Asimov gaben dieser Trennung mit ihren Werken Ausdruck. Wenn Technik in Tolkiens Erzählungen überhaupt vorkommt, dann nur vage verschlüsselt als Werkzeug des Bösen. Namentlich erinnert die Erschaffung der “unreinen” Orks im “Herrn der Ringe” in ihrer Beschreibung deutlich an Abläufe der Gentechnik.

Dafür ist Isaac Asimovs Zukunft frei von Geistern, Zauberern und Kobolden. Technik ist bei ihm ein Mittel, ja ein Antrieb für den Fortschritt des Menschen über die Grenzen von Überlieferung und Glaube zu einer besseren Welt.

Es ist schwer, festzustellen, wann die Meme einer magisch verklärten Vergangenheit zum ersten Mal mit denen einer technisch verklärten Zukunft mutierten.

Mit “Ghostbusters” sehen wir das Ergebnis dieser Entwicklung bereits in seiner vollständigen Ausformung.

Hier sind Fantasy und Science-Fiction schon längst zu einer alternativen Gegenwart verschmolzen. Nichts trennt hier mehr Mythen von Naturgesetzen. Magie wird zur Technik erklärt und kann mit Technik gemessen, gesteuert und geregelt werden. Technischer Fortschritt stellt ihre Wirklichkeit nicht mehr in Frage, er macht sie lediglich beherrschbar. Die dafür notwendigen Werkzeuge und Maschinen scheinen aus der Zukunft in die Gegenwart verrückt. Trotzdem bleiben sie der Gegenwart so fortgeschritten, dass sie in ihr von Magie nicht unterschieden werden können, s. Arthur C. Clarkes drittes Gesetz.

So kämpfen die Geisterjäger als magische Technokraten gegen eine technoide Magie in einer alternativen Wirklichkeit, in der beides nicht mehr von einander getrennt werden kann.
Der Widerspruch zur tatsächlichen Wirklichkeit wird zweifach gedämpft, über die Form des Märchens und die der Komödie.

Hält man den Ghostbusters ihr historisches Spiegelbild aus der tatsächlichen Wirklichkeit entgegen, wird das Ausmaß ihrer Unwirklichkeit erst wieder offenbar:

Ein elitärer Klub britisher Gentlemen, die ihrem Spleen, nach jenseitigen Erscheinungen zu fahnden, schon vor über 200 Jahren den Anstrich angewandter Wissenschaft gaben und bis heute geben. Damals wie jetzt, ein lächerliches Klischee.

Oder?

Sind wirklich die Ghost Society und ihre literarischen Erben, die Ghostbusters das Klischee?

Oder ist es unsere (Wunsch?)-Vorstellung von einer sauberen und harten Trennung zwischen Mythen und Naturgesetzen, zwischen Technik und Magie, die wir uns über Fantasy und Science-Fiction überliefert und zum Weltbild erhoben haben?

Wagen wir den unvoreingenommenen Blick zurück in die Vergangenheit, Jahrhunderte vor der Ghost Society, so erkennen wir Beispiele für Magie als anerkannte, angewandte Wissenschaft zur Erklärung und Beherrschung einer noch geheimnisvollen und rätselhaften, natürlichen Welt.

Erst wenn wir uns von dort zurück zu unserem Jetzt wenden, können wir verfolgen, wie sich aus dem immer erfolgreicheren Scheitern magischer Mythen als Welterklärungsmodell, erste Wissenschaften und Techniken lösten, die die heutige Mathematik, Chemie und Physik begründeten.

Die ersten Astronomen waren Priester. die ersten Meteorologen waren Wahrsager. Die ersten Mediziner waren Schamanen.

Wenn wir Wissenschaft und Technik nicht mehr als Gegensätze zu Mythen und Magie, sondern als ihre Weiterentwicklungen begreifen, verändert sich damit auch die Sicht auf alles andere.

Wir verstehen Ghost Society und Fantasy als Atavismen einer fortschreitenden, memetischen Entwicklung.

Wir entdecken in Science-Fiction verschlüsselte Mythen von der Überwindung geistiger und körperlicher Grenzen in Zeit und Raum, durch magische Techniken der Zukunft.

Der Astronaut wird zum Ikarus. Der Roboter wird zum Golem. Das erste geklonte Menschenkind wird zum alchimistischen Homunculus.

Und damit wird aus der harmlosen Filmkomödie Ghostbusters ein Zerrbild memetischer Wirklichkeit, in dem menschliche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfließen, Mythos, Magie, Wissenschaft und Technik miteinander verschmelzen.

Die durchtechnisierte Zukunft, in die wir vor Mythos und Magie unserer Vergangenheit flüchten wollen, wird entlarvt als unsere von mythologischen und magischen Memen aufgeladenene Gegenwart.

Schauen wir noch hin?

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