17 Oktober 2006

Die alphanumerische Elite



Meinen Artikel über den Tod der Schrift darf ich so nicht stehen lassen.

Auch wenn absehbar ist, dass die Kalligraphie zu einer historischen
Kulturtechnik wird, die alphanumerische Blocksschrift wird und muss die
Schönschrift überleben.

Warum?

Der Blick auf die postmoderne audio-visuelle Medienlandschaft verführt zu der
Annahme, die alphanumerische Verschlüsselung, Speicherung und Vermittlung von
Sprache würde an sich überflüssig.

Sie ist es nicht.

Unsere postmodernen audio-visuellen Informationstechnologien sind nur möglich
und beherrschbar durch die Verarbeitung alphanumerisch verschlüsselter
Information.

Die Verarbeitung wird von unseren Rechen-Maschinen geleistet, die selbst in
der Logik alphanumerisch verschlüsselter Information funktionieren.

Werkzeuge wie Microsofts .Net und Apples Automator erzeugen die
oberflächlichliche Illusion, wir könnten mit unseren Computern in
einer Sprache aus geometrischen Formen Linien, Kreisen, Dreiecken und
Rechtecken sprechen.

Das können wir immer noch nicht.

Diese Werkzeuge übersetzen unsere Formensprache lediglich in die einzigen
alphanumerischen Zeichen, die unsere Rechen-Maschinen verarbeiten können:

0 und 1.

Der notwendige Quantensprung in der Architektur, Geschwindigkeit und
Speicherkapazität unser Computer um audio-visuell verschlüsselte
Information verarbeiten zu können, ist vielleicht die letzte Science Fiction
die diesen Namen heute noch verdient.

Mag sein, dass wir in der audio-visuellen Medienwelt keine Handschrift mehr
brauchen werden, um zu unseren Mitmenschen zu sprechen.

Solange wir unsere Computer nicht direkt in Bildern und Klängen
programmieren können, dürfen wir den alphanumerischen Schlüssel nicht
verlernen.

Ohne den alphanumerischen Schlüssel können wir nicht mehr zu unseren Maschinen
sprechen.

Ohne die Hilfe unserer Maschinen können wir keine audio-visuellen Medienwelten
erschaffen.

Ohne audio-visuelle Medien ist der postmoderne Mensch taubstumm.

Erst vor diesem Hintergrund wird der global beobachtbare Verlust
schriftsprachlicher Kulturtechniken wirklich bedrohlich.

Es geht nicht um den Verlust der Handschrift als zwischenmenschliches Informationsmedium.

Es geht um den Verlust der Schrift an sich, als gemeinsame Sprache zwischen uns und unseren Maschinen.

Je weniger Menschen lesen und schreiben können, umso mehr Menschen sind
abhängig von audio-visuellen Medien um überhaupt noch zueinander sprechen zu
können.

Je weniger Menschen lesen und schreiben können, umso mächtiger werden die Wenigen, die noch zu unseren Maschinen sprechen können.

Sie allein werden die Macht haben, die audio-visuelle Medienwelt zu erschaffen und zu erhalten, von der eine wachsende analphabetische Unterschicht abhängt.

Das ist die Technokratie einer alphanumerischen Elite.

Diese Elite wird sich demokratischer Legitimation entziehen können, weil sie die totale Kontrolle über Information als Grundlage von Demokratie besitzt.

Wird es eine Technokratie von gütigen Tyrannen oder von grausamen Despoten sein?

Wirst Du zu den Tyrannen, oder zu den analphabetischen Sklaven gehören?

Jeder Mensch, der nicht lesen und und schreiben kann, ist ein Mensch mehr, der nicht mit Maschinen sprechen kann.

Die Technokratie der alphanumerischen Elite kommt immer näher.

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