05 Dezember 2010

Deine Gene - ein offenes Buch... mit sieben Siegeln.


Das menschliche Genom ist entschlüsselt, ... oder?

Besitzen wir wirklich schon den Schlüssel zum Verständnis seiner Gesetze, seiner bio-mechanischen Prozesse? Sind wir bereits in der Lage, schlüssige Ketten von Ursachen und deren Wirkungen nicht nur zu erkennen, sondern sie auch abstrakt her zu leiten, voraus zu sehen, ja zu verändern?

Können wir im Text Genom Bedeutung ebenso lesen wie schreiben?

Das mit dieser Entschlüsselung verbundene Versprechen des technisch Machbaren, ist hier wieder, wie so oft, ein mystisches, ein gnostisches Versprechen.

Es gründet auf einem in unserer Kultur ebenso unterschwelligen, wie tief verinnerlichten Blick auf die Doppel-Helix der DNS als der Tora-Rolle unseres rationalen Jahrtausends. In diesem Gefäß wartet eine neue heiligere Schrift, die Enthüllung der Geheimnisse des Lebens.

Indem der Mensch diese biochemische Tora öffnet, vermag er den verborgenen Sinn seiner Existenz zu erkennen. Schon damit erhebt er sich selbst auf eine Ebene höheren Bewusstseins, höheren Seins.

Aber mehr noch, auch die Buchstaben dieser Tora stehen nicht fest.

Immer noch in tief gnostischer Tradition wird der Gentechniker zum Kabbalisten, setzt die Buchstaben des Schlüssels immer wieder neu zusammen, auf der Suche nach immer neuen Namen, dem einen, wahren Namen des neuen Gottes zu dem er sich selbst gemacht hat, dem neuen Menschen.

Endlich schließt sich der Kreis gnostischer Erkenntnis im 21. Jahrhundert in der Alchemie. Über die Gen-Therapie kehrt der Homunculus aus dem mittelalterlichen Glaskolben in den weiblichen Uterus zurück.

Soweit das gnostische Versprechen des enthüllten Geheimnisses Genom.

Doch ach, die Erfahrungen des Autors Richard Powers bei der Entschlüsselung seines Genomes zeichnen ein anderes Bild.

Dabei können wir unsere Erkenntnisgeschichte immer noch mit gnostischen Begriffen weiter erzählen. Der neue Schüler hat von den Trägern des Lichts der Erkenntnis Anteil daran erhalten, Erkenntnis seines eigenen Geheimnisses.

Doch statt der endgültigen Antwort auf die Frage nach dem Wie und Warum, statt seiner Ermächtigung, das von seinen Genen bestimmte Schicksal zu wenden, erwarten ihn nur unendlich viele weitere Geheimnisse hinter dem Geheimnis hinter dem Geheimnis...
Er kann an Fettleibigkeit sterben, oder nicht; Alzheimer bekommen, oder nicht.

Hier kehrt sich der Traum von Macht durch Wissen um zum Alptraum von Ohnmacht durch Wissen, das zu groß ist, um es zu verstehen.

Hier wird das gnostische Versprechen zur Falle.

Heute wie vor 2000 Jahren.

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