09 Januar 2011

Religionen schaffen sich ab - von der Notwendigkeit einer Ethik der Vernunft



Sucht man von außen betrachtet an Religionen etwas an sich sinnvolles und nützliches, findet man zwei, auf von einander getrennten Ebenen wirkende Funktionen.

Religion als persönliche Sinnstiftung

Religion gibt dem Gläubigen Erklärung, Begründung und Rechtfertigung seines endlichen Daseins in einem unendlichen Kosmos in einer Sprache, die nicht an seinen Verstand gerichtet ist, sondern unmittelbar als wahr empfunden werden kann.

Erst auf diesem empfundenen Verständnis seiner selbst und der Welt um ihn, kann der Mensch ein Gefühl von Gewissheit, von Geborgenheit im Hier und Jetzt gründen.

Erst dieses Gefühl versöhnt ihn mit seiner Vergangenheit, befähigt ihn ohne dauernde Angst auf eine unbekannte Zukunft zu schauen und ermöglicht ihm die Freude am Augenblick.

Tausende von Jahren an Entwicklung der rationalen Vernunft haben Fragen nach dem Wie der Prozesse der erlebbaren, messbaren Welt immer und immer wieder beantwortet.

Damit machen sie diese Welt in den Grenzen ihrer Gesetze für den Menschen erklärbar und beherrschbar.

Die Frage nach dem ersten Warum und letzten Warum konnten die exakten Wissenschaften bis heute nicht beantworten.

Einerseits entziehen sich diese Fragen ihrem Wesen nach der Fassung in messbare Begriffe. Andererseits verweigert sich die rationale Vernunft ihrerseits, sich auf eben solche Fragestellungen einzulassen, die durch die eigenen Begriffe nicht bestimmt werden können.

So überlassen sich Religionen und Wissenschaften einander ihre Felder, ihre Welten, ihre Fragen, ihre Antworten, ihre Wahrheiten.

Sie bereichern einander nicht. Die einen erkennen sich selbst in ihrer Ablehnung der anderen.

Der Gläubige hat die Antworten des Wissenschaftlers, aber sie beantworten seine Fragen nicht.

Der Wissenschaftler mag die Fragen des Gläubigen nicht stellen, weil sie die Grenzen seiner Antworten offenbaren.

Keiner erkennt, dass sie nur gemeinsam zu neuen größeren Fragen, größeren Antworten kommen können.

Und alles scheint für alle gut und schön, solange jeder mit sich und seinen Fragen und Antworten allein bleibt.

Religion als ethischer Vertrag der globalen Gesellschaft

Die Dramatik dieses gemeinsamen Irrtums der gegenseitigen Isolation wird klar, wenn man das in den letzten 2000 Jahren immer offensichtlichere und schwerer wiegende Versagen der Religionen in der Erfüllung ihrer Funktion auf der zweiten, der sozialen Ebene betrachtet.

Die Sinnsuche des Gläubigen endet nicht mit der Bestätigung seiner selbst, die ihm durch das Weltbild seiner Religion vermittelt wird.

Die Sicherheit seiner selbst in seinem Weltbild wächst mit jedem Mitmenschen, der ihm dieses Weltbild bestätigt, es mit ihm teilt.

Der Gläubige mag mit seinem Glauben nicht allein sein.

Aus diesem Bedürfnis entwickelt sich die Funktion der Religion als Grundlage einer menschlichen Gesellschaft, die über ihr geteiltes Weltbild kulturelle und politische Gegensätze global überwinden kann.

Aus seiner Anerkennung der Autorität seiner Religion für die Erklärung seiner Welt leitet der Gläubige seine Anerkennung ihrer Autorität ab, die Gesetze seines Miteinanders mit anderen zu bestimmen.

Das Weltbild muss anerkannt werden, damit die Gesetze anerkannt werden können.

Die Gesetzte müssen anerkannt bleiben, damit das Weltbild anerkannt bleibt.

Versichert wird das durch eine Erhebung beider in den Stand religiös geheiligter Tabus.

Die Unabhängigkeit religiöser Weltbilder und der auf ihnen gründenden Gesetze von rationaler, exakter Beweisbarkeit bewahrt sie als Gegenmodelle zu Weltbildern und deren Gesetzen die auf dieser Beweisbarkeit gründen.

Sie bewahrt sie ebenso davor, von diesen Weltbildern und deren Gesetzen in Frage gestellt zu werden.

Spätestens an diesem Punkt beginnt das wachsende Dilemma aller religiösen Glaubensgemeinschaften.

Durch ihre Weltbilder und Gesetze bestimmen sie sich und ihre Mitglieder nach innen und sichern dort so ein einvernehmliches, friedliches Miteinander. Doch durch die selben Gesetze und Weltbilder grenzen sie sich ebenso gegen ein Multiversum anderer Weltbilder und Gesetze ab, was bestenfalls in unüberwindbarem Nebeneinander, immer öfter in gewaltsamem Gegeneinander mündet.

Statt kulturelle und politische Gegensätze auf dem Weg zu einem globalen Gemeinwesen zu überwinden, verbünden sich Religionen mit ihnen im Überlebenskampf memetischer Systeme, bedienen sich ihrer so sehr, wie sie sich von ihnen vereinnahmen und benutzen lassen.

Statt mit der rationalen exakten Vernunft eine gemeinsame Sprache zu finden, um den heute suchenden Menschen gleichermaßen das Wie und das Warum der einen erlebbaren Welt 2011 und in Zukunft über alle Weltbilder hinweg zu erklären, klammern sich die Religionen an ihre Erklärungen von 50 nach Christi Geburt, mit denen sich seit dem nur die Welt 50 nach Christi Geburt erklären lies.

Seit dem versucht jede Religion, die Welt in der sie ihr heiliges Weltbild und seine heiligen Gesetze fasste, die einzige Welt die sie erklären kann, mit aller Macht über die Zeiten zu erhalten.

Seit dem pflegt jede Religion ihre Sprachlosigkeit gegenüber den Menschen.

Seit dem entfernt jede Religion sich und ihre Gläubigen immer weiter von der einen, erlebbaren Welt, ihrer einzigen Lebensgrundlage außerhalb aller Weltbilder.

Erst stirbt der Mensch für sein Mem Religion, dann das Mem selbst.

Ohne die Sprache exakter Wissenschaften ist die erlebbare Welt nicht zu verstehen, nicht zu begreifen, nicht zu überleben.

Aber erst einvernehmliche Gesetze für ein friedliches Miteinander geben dem Leben in ihr einen Sinn, machen sie lebenswert.

Die Religionen schaffen sich ab.

Übernimmt jemand ihre Verantwortung, bevor sie mit sich die Menschheit abschaffen?

Überwindet sich die rationale Vernunft endlich zu eigenen Antworten auf die Fragen nach dem Warum?

Denker wie Sam Harris setzen Zeichen gegen die Resignation und für die Hoffnung.

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